Do - So
«Dieser Roman ist ein Ereignis»: Deutscher Buchpreis für Elmiger

Der Deutsche Buchpreis geht in diesem Jahr an die 1985 in Wetzikon im Zürcher Oberland geborene Autorin Dorothee Elmiger für «Die Holländerinnen». «Dieser Roman ist ein Ereignis», heisst es in der Begründung der Jury. Elmigers Stil sei gleichzeitig distanziert und doch fesselnd und das Buch «ein faszinierender Trip ins Herz der Finsternis».
Elmiger, die in New York lebt, galt bereits als eine Favoritin. Und als Favoritin gilt sie auch für den Schweizer Buchpreis. Damit wäre sie erst die Dritte, die beide Auszeichnungen gewinnt. Das ist zuvor Kim de l'Horizon (2022 für «Blutbuch») und Melinda Nadj Abonji (2010 für «tauben fliegen auf») gelungen. Der Schweizer Buchpreis wird am 16. November im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals BuchBasel verliehen.
Worum geht es in «Die Holländerinnen»?
«Die Holländerinnen» handelt von einer kollektiven Grenzüberschreitung im Regenwald Südamerikas. Erzählt wird die unheimliche Geschichte weitgehend in der indirekten Rede. Eine Autorin berichtet in einer Poetikvorlesung von ihrer Reise in den Dschungel als Teil einer Theatergruppe. Diese ist auf den Spuren zweier holländischer Backpackerinnen, die vor Jahren dort tatsächlich verschwunden sind. Doch das Projekt läuft ziemlich aus dem Ruder: Die Gruppe wird vom Urwald nahezu verschluckt und erzählt sich verstörende Geschichten.
«Je tiefer sie sich im Dickicht und Morast verläuft, desto mehr reisst Elmiger die Leser*innen in einen Sog der Angst. Ihr Roman erzählt von Menschen, die in ihr dunkelstes Gegenteil verfallen», findet die Jury. Und weiter: «Indirekt ist dabei nicht nur Elmigers Sprache, sondern auch ihr Verweis auf unsere Gegenwart, die Schritt für Schritt in Selbstüberhebung versinkt.»
Ist das Buch preiswürdig?
Ja, auf jeden Fall. Die Lektüre lässt einen nicht mehr los, auch wenn in dem Buch vieles unklar bleibt: Nichts wird zu Ende erzählt, nichts aufgeklärt. Konkret ist nur die Verunsicherung. Die Sprache bildet diesen Grusel perfekt ab: Sätze winden sich wie Schlingpflanzen um eine dunkle Mitte, der Konjunktiv distanziert das Geschehen von der Realität.
«Der Horror liegt naturgemäss ausserhalb der Sprache», schreibt Elmiger, er sei, «wenn man so wolle, ihr Gegenteil». Das darzustellen, gelingt ihr meisterhaft. Wer das Buch lesen will, könnte derzeit allerdings Pech haben: Der beim Hanser-Verlag erschienene Titel ist vielerorts vergriffen und hat nach Auskunft von Buchhändlern aktuell mitunter mehrere Wochen Lieferzeit.
Wer war ausserdem nominiert?
Der Deutsche Buchpreis gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche und wird traditionell am Tag vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse vergeben. Neben Elmiger waren fünf weitere Kandidatinnen und Kandidaten in der engeren Auswahl: Kaleb Erdmann («Die Ausweichschule»), Jehona Kicaj («ë»), Thomas Melle («Haus zur Sonne»), Fiona Sironic («Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft») sowie Christine Wunnicke («Wachs»).
In den vergangenen Wochen waren verschiedene Favoriten in den Medien gehandelt worden, darunter Elmiger. Sie stand bereits mit ihrem letzten Buch «Aus der Zuckerfabrik» auf der Shortlist für den Schweizer und für den Deutschen Buchpreis. 2022 wurde sie in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen.
Während des Schreibens fast aufgegeben
Ihr Buch «Die Holländerinnen» sei entstanden, weil sie über verschiedene Formen von Gewalt, Beherrschung oder Dominanz habe nachdenken wollen, sagte Elmiger im September in einem Interview der «Wochenzeitung» (WOZ). Und weiter: «Ich hatte gemerkt, dass mein Text sehr düster ist, auch verzweifelt. Darin entspricht er mir eigentlich nicht. Ich habe trotz allem eine grosse Zuversicht.»
Sie habe beim Schreiben des Buches fast aufgegeben, sagte Elmiger über «Die Holländerinnen». Drei, vier Jahre lang habe sie immer wieder alles verworfen. «Es wurde immer schlimmer, bis ich dachte: Ich muss mich vom Schreiben verabschieden, diese Phase meines Lebens ist nun vorbei.» Dann sei es gewesen, als habe sich plötzlich eine Handbremse gelöst. Den Endspurt beschreibt sie als «beinahe fiebriges Schreiben».
Jury hatte 229 Romane gesichtet
Für den diesjährigen Buchpreis hatte die Jury, der die Schweizer Dramatikerin und Literaturkritikerin Laura de Weck als Sprecherin vorsteht, 229 deutschsprachige Romane gesichtet, die zwischen Oktober 2024 und Mitte September 2025 erschienen sind. Zunächst wurden 20 Bücher für die Longlist ausgewählt, diese wurde dann auf die sechs Titel umfassende Shortlist gekürzt.
Insgesamt ist der Buchpreis mit 37'500 Euro dotiert: Elmiger erhält 25'000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro. Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an Martina Hefter für ihren Roman «Hey guten Morgen, wie geht es dir?».