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Magengrün und Madonnenblau: Farbe spielerisch erkunden
Anfassen verboten? Nicht so im Kulturhaus Obere Stube in Stein am Rhein. «Farbe, Stein, Papier - Misch mal mit!» heisst die aktuelle Ausstellung – und der Name ist Programm: Besucherinnen und Besucher dürfen nach Herzenslust (fast) alles anfassen und ausprobieren. Auf verschiedenen nach Farben geordneten Tischen fächert die liebevoll gestaltete Ausstellung verschiedene Facetten des Phänomens Farbe auf.
Ocker, Lapislazuli und Läuse
Ein Bereich widmet sich der Herstellung von Farben und dem Färben. Schon die Höhlenmenschen vermahlten Ocker zu feinen Pigmenten, vermischten sie mit Bindemitteln wie Ei und bemalten damit Höhlenwände. In der Ausstellung kann man es unseren prähistorischen Vorfahren nachmachen und mit der angerührten Ockerfarbe eigene Zeichnungen machen. Wer sich nicht ekelt, darf getrocknete Cochenille-Schildläuse in die Finger nehmen, deren Farbstoff als Karmin (E120) in Lippenstiften und Lebensmitteln für das attraktive Rot sorgt. Eindrücklich schwer in der Hand liegt der Brocken Lapislazu, aus dem früher das sehr teure Madonnenblau produziert wurde. Seinen Namen hat der Farbstoff, weil Künstler ihn vor allem für den blauen Mantel in Mariendarstellungen verwendeten.
Farbe lässt sich gar nicht so leicht in Worte fassen
Ein zweiter Teil der Ausstellung geht der Frage nach, wie wir Farbe wahrnehmen. Ein verblüffender Fakt: Unser Auge kann über 200 verschiedene Farbtöne wahrnehmen. Hinzu kommen 500 Helligkeits- und mehr als 20 Sättigungsstufen. Insgesamt können Menschen also über 20 Millionen Farben sehen. Darüber reden können wir allerdings längst nicht so differenziert – unsere Sprache hat nur relativ wenige Farbnamen.
Diese Namen können allerdings ziemlich phantasievoll sein, wie die 226 Grünbezeichnungen bezeugen, die das Museum in einem kleinen Büchlein zusammengefasst hat. Vom erfrischenden Limonen- und Pfefferminzgrün reicht die Palette bis zum unappettitlichen Magen-, Piss- oder Madengrün. Auch Kultur und Landschaft prägen unsere Farbwahrnehmung: So haben etwa Forschende festgestellt, dass Menschen in Ländern am Äquator schlecht oder gar nicht zwischen Grün- und Blautönen differenzieren können. Die intensiven UV-Strahlen schädigen die Zapfen im Auge, die auf die blauen Anteile im Licht reagieren.
«Nur ein alter Pinsel ist ein perfekter Pinsel»
Im dritten Teil der Ausstellung geht es um die reich und bunt bemalten Fassaden der Altstadthäuser in Stein am Rhein. Sie zeigen Ornamente, illusionistische und erzählerische Malereien und sind die touristischen Kronjuwelen des Städtchens. Was viele nicht wissen: Nur gerade vier der bemalten Bürgerhäuserfassaden stammen aus der Zeit vor 1900. Die anderen wurden erst im Laufe des 20. Jahrhunderts bemalt.
Die Ausstellung zeigt, wie die vier ältesten, vom Verfall bedrohten Bürgerhausfassen in den 1880er-Jahren restauriert wurden. Dabei spielten die Keim'schen Mineralfarben eine entscheidende Rolle: Es waren die ersten praxistauglichen Silikatfarben, die Adolf Wilhelm Keim 1878 entwickelt hatte. Eindrücklich sind die ausgestellten Pinsel, die noch heute bei der Renovation oder Gestaltung neuer Fassaden zum Einsatz kommen. Einer von ihnen ist über 100 Jahre alt – und gerade deshalb noch im Einsatz. Wenn ein Pinsel während Jahrzehnten verwendet wird, verändert sich die Beschaffenheit der Haare und Borsten. Das sorgt für lebendige Strukturen. «Nur ein alter Pinsel ist deshalb ein perfekter Pinsel», lernt man in der Ausstellung.
An einem Bildschirm kann man dann selber zur Stadtgestalterin werden und beim digitalen Bemalen einer historischen Häuserzeile mit Farben und deren Wirkung spielen.
Welche Farbe macht dich glücklich?
Die Besuchen können die Ausstellung teilweise auch selbst mitgestalten: Aus verschiedenen Kärtchen können sie ihre persönliche Glücksfarbe auswählen, darauf ihre Gedanken notieren und diese am Farbenbaum aufhängen. Und auf dem «gelben» Tisch gleich beim Eingang dürfen Besucherinnen und Besucher einen mitgebrachten gelben Gegenstand hinterlassen.
Die Ausstellung läuft noch bis am 31. Oktober 2026. Offen von März bis Oktober, Dienstag bis Sonntag, 10–17 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Weitere Infos: www.kulturhaus-oberestube.ch
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Die dunklen Seiten der Farbe
In einer Sonderausstellung im 1. und 2. Obergeschoss des Kulturhauses untersucht die Künstlerin Denise Bertschi unter dem Titel «Colors of (colonial) Chemistry» die Verflechtung von Farbstoffen, Industrialisierung und Globalisierung. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Farbstoff Brasilin, der aus dem brasilianischem Rotholz gewonnen wurde. Der Rotholz-Baum Paubrasilia war wegen seines Farbstoffes und seines Holzes die ökonomische Grundlage des Kolonialismus. Als Folge der starken Übernutzung ist diese Baumart heute fast vollständig aus dem Atlantischen Regenwald verschwunden und ist vom Aussterben bedroht. Die Werke von Denise Bertschi sind noch bis am 31. Oktober 2025 zu sehen.
Kunst, die Grenzen sprengt
Noch bis am 3. Mai 2026 zeigt das Kulturhaus zudem ausgewählte Werke der Künstlerin Alexandra Häberli. Häberli überschreitet auf vielfältige Weise und sehr farbgewaltig räumliche Grenzen und herkömmliche Vorstellungswelten.



