Spiel
Seine Spielkritiken sind gefragt: Patrick Jerg, Lehrer und leidenschaftlicher Brett- und Kartenspieler, am Spieltisch mit seinem Sohn Tim. (Bild: Regina Jerg)
09. Dezember 2019

«Beim Spiele-Boom ist der Zenith noch nicht erreicht»

Patrick Jerg stellt in haptik.ch Spiele vor und berichtet über Messen und spannende Persönlichkeiten aus der Branche. Im Interview spricht der spielbegeisterte Primarlehrer über den Schweizer Spiele- Markt, seinen erfolgreichen Brettspiel-Blog, Spiele im Unterricht und Chancen für den Fachhandel.

«Spielen liegt wieder im Trend» ist auf Ihrem Blog www.brettspielblog.ch zu lesen. Wie zeigt sich dieser Trend konkret?
Patrick Jerg: «Der Trend zum Spielen ist anhand verschiedener Faktoren erkennbar. So erscheinen Jahr für Jahr mehr Spiele-Neuheiten. An der diesjährigen Messe SPIEL in Essen, der weltweit grössten Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele, wurden rund 1500 Neuheiten präsentiert, ein Rekord!
Eine Zunahme ist auch bei den Verlagshäusern feststellbar: Es entstehen viele neue Spiele-Verlage, auch in der Schweiz. Ausserdem gibt es eine grosse Nachfrage nach Informationen zu Spielen. Das Interesse zeigt sich einerseits an den stetig steigenden Besucherzahlen meines Blogs. Andererseits interessieren sich Printmedien vermehrt für Berichte und Spiele-Einführungen. Grundsätzlich ist die Nachfrage nach Spielen in den letzten Jahren grösser geworden. Ich beobachte zudem eine Offenheit gegenüber neuen Spielen abseits der bekannten Klassiker. Erst kürzlich habe ich den Weihnachtskatalog eines Grossverteilers durchgeblättert. Da werden die traditionellen Brett- und Kartenspiele präsentiert, obwohl es mittlerweile viel Neues gibt. Hier sehe ich Möglichkeiten für den Fachhandel, sich mit einem breiteren Sortiment zu positionieren und Interessierten einen Mehrwert zu bieten.»

Wie schätzen Sie den Schweizer Spiele-Markt grundsätzlich ein?
«Der Spiele-Markt in der Schweiz ist überschaubar. Der Vertrieb der Spiele, die nicht selber produziert werden, erfolgt von Deutschland aus – oder aus aller Welt. Das grosse Geschäft läuft in Deutschland, wo die Begeisterung für Spiele noch etwas grösser ist als bei uns. Nur in der Schweiz Fuss zu fassen, ist schwierig, ausser man hat eine Nische gefunden. Ein Beispiel: Das Kartenspiel ‹Frantic› hat sich hierzulande sehr gut verkauft. Inzwischen hat der Verlag Rulefactory einen Vertrieb in Deutschland und sogar eine Distribution in Japan gefunden.»

Hat sich der Spiele-Markt in den letzten Jahren verändert – und wenn ja, wie?
«Inzwischen gibt es nicht nur die grossen, bekannten Spiele-Verlage, sondern auch Kleinbetriebe, neue Verlage und Hobby-Begeisterte, die Spiele auf den Markt bringen. Dank Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter oder Startnext lassen sich Spiele einfach präsentieren und von einem interessierten Publikum finanzieren.»

Ihren Blog haben Sie 2010 gestartet und inzwischen über 1000 Artikel mit Kritiken zu Brett- und Kartenspielen veröffentlicht. Wie läuft es?
«Es läuft sehr gut. Die Besucherzahlen meines Blogs steigen kontinuierlich. Die Analyse der Suchaufrufe zeigt, dass auf meinem Blog nicht nur die neuen Spiele gesucht werden, sondern dass viele Besucher in meinem Archiv stöbern. Gestartet als rein privater Blog, habe ich zu Beginn Spiele präsentiert, die mir persönlich gut gefallen. Erst später ist die Zusammenarbeit mit Verlagen hinzugekommen. Heute bekomme ich Anfragen aus der ganzen Welt, um Spiele auszuprobieren und zu bewerten. Dabei ist das A und O der regelmässige Ausbau des Blogs. Das Ganze macht sehr viel Spass: die Spiele, die Technik und das Schreiben.»

Wie bewerten Sie Spiele?
«Alle Spiele werden mehrfach und in unterschiedlichen Runden getestet. Regelmässig kommt ein Stamm an Spielerinnen und Spieler vorbei. Dann spiele ich mit meinen eigenen Kindern. Als Lehrer habe ich auch in der Schule hin und wieder die Gelegenheit, zu spielen.»

Sie probieren laufend neue Spiele aus. Kommt da der Wunsch auf, selber ein Spiel zu entwickeln?
«Nein, das ist eine ganz andere Hausnummer. Ein Spiel zu entwickeln, ist viel schwieriger als man meint. Ich glaube, das können andere besser.»

Als Primarlehrer setzen Sie auch Spiele im Unterricht ein. Welche Spiele eignen sich besonders gut, um Wissen zu vermitteln?
«Spiele mit kurzer Dauer, die schnell erklärt und aufgebaut sind. Dazu zählen kleinere Spiele, etwa Merk-, Karten- oder Würfelspiele mit einfachen Regeln. Ideal sind zudem Spiele mit Bezug zum Lernstoff, zum Beispiel solche, die sich eignen, mathematische Kenntnisse oder englische Begriffe zu üben.»

Was gehört Ihrer Meinung nach zu einem gelungenen Gesellschaftsspiel?
«Es kommt darauf an, wer es spielt. Schlechte Spiele gibt es auf dem Markt praktisch keine, aber vielleicht passt ein Spiel nicht zu einer bestimmten Gruppe. Für ein gutes Familienspiel heisst das: Der Einstieg muss einfach sein, der Ablauf simpel und man sollte innert nützlicher Frist mit dem Spiel starten können. Der Knackpunkt sind die Spielregeln: Diese zu lesen und zu verstehen, ist nicht allen gleich gut gegeben. Ein gutes Spiel hat einen einfachen Mechanismus und etwas Spannendes, sodass man es gerne öfter mal wieder spielt.»

Welche Rolle spielt die Haptik, also wie sich Brett, Figuren oder Spielkarten in der Hand anfühlen?
«Bei Spielen gibt es durchaus qualitative Unterschiede, die auch mit den finanziellen Möglichkeiten des Verlages zusammenhängen. Viele Spiele werden in China produziert, weil es günstiger ist oder manche Bestandteile sich nicht anderswo herstellen lassen. Spielteile aus Plastik sehe ich allerdings seltener als noch vor zehn Jahren.»

Wagen wir einen Ausblick: Welche Themen werden bei Spielen in Zukunft gefragt sein?
«Das ist schwierig zu sagen. Aktuell boomen Escape-Spiele, die das Spielerische mit Rätseln und Knobeln verbinden. Da gibt es zahlreiche Anbieter und Varianten. Gut möglich, dass dieses Konzept weiteres Potenzial bietet. Ich schätze, dass Spiele mit Bezug zu einer Geschichte zukünftig noch beliebter werden. Manchmal wird auch etwas ganz Einfaches zum Hype. Eine Prognose ist schwierig, aber ich bin überzeugt, dass beim Spiele-Boom der Zenith noch nicht erreicht ist.»

Welche Spiel-Projekte stehen bei Ihnen als Nächstes an?
«Diese Woche sind zwei Spiel-Abende geplant, und bald besuche ich die Messe in Essen. Für die weitere Zukunft gibt es Ideen. Gerne würde ich einen regionalen, regelmässigen Spiele-Treff auf die Beine stellen. Dabei stellt sich die Frage nach den Räumlichkeiten und dem Support. Hierfür bin ich bereits in Kontakt mit Fachgeschäften.»

Was möchten Sie den haptik-Leserinnen und -Lesern abschliessend mitteilen?
«Geht spielen (lacht) ! Spielen ist ein wunderbarer Zeitvertreib. Oft geht es darum, die erste Hürde zu überwinden, dann läuft es. So habe ich von vielen Fachhändlern gehört, dass ein Spiel, das an der Kasse präsentiert und kurz erklärt wird, auf grosses Interesse stösst. Häufig fehlt nämlich der Zugang zu einem Spiel, beispielsweise die erste Erklärung dazu.»


Zur Person

Patrick Jerg (47) ist Primarlehrer und rezensiert in der Freizeit Spiele auf seinem Blog www.brettspielblog.ch. Ausserdem hat er zwei Bücher veröffentlicht und schreibt Spielempfehlungen und Kolumnen für diverse Magazine wie haptik.ch, active & live, Fachzeitschrift der Schweizer Spielpädagogen sowie für das Magazin des Schweizerischen Dachverbandes für Spiel und Kommunikation. Patrick Jerg lebt mit seiner Familie in Goldach/SG.

Patrick Jerg (47) ist Primarlehrer und rezensiert in der Freizeit Spiele auf seinem Blog www.brettspielblog.ch.
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